Im Mai 2024 veröffentlichte Xing eine Studie zum Thema Altersdiskriminierung und überschrieb die Veröffentlichung mit der Headline „Ü50? Ab aufs Abstellgleis! Schock-Studie: Deutsche Führungskräfte mobben ältere Arbeitnehmer.“ Ist das eigentlich noch eine Neuigkeit? Hätten Sie es gewusst?
Gestern erzählte mir eine Freundin (60 Jahre) stolz, dass sie bei Fragen zu ihrem Smartphone oder Laptop ihre ältere Tochter oder ihren Enkel kontaktiert. Ihr ist die Auseinandersetzung mit den Tools zu anstrengend. Ich frage mich: Welches Altersbild prägt sich bei der Tochter und beim Enkel ein?
Warum ich das schreibe? Ich glaube, beide Vorkommnisse hängen eng miteinander zusammen.
Der „Garderobenhaken“-Trugschluss
Es geht darum, dass sich unsere Vorurteile und Stereotypen durch unsere Erfahrungen prägen und uns oft nicht bewusst sind. Altersdiskriminierung ist nicht nur weit verbreitet, sondern auch heimtückisch, weil sie oft nicht erkannt und unangefochten bleibt. Sie wird irgendwann Teil unserer Haltung und unseres Handelns.
Es ist ein Trugschluss zu glauben, wenn wir das Unternehmen betreten, hängen wir Vorurteile an den Garderobenhaken. Viele Führungskräfte würden gerne glauben, sie könnten ihre private Identität – inklusive Emotionen, Werte und Überzeugungen – beim Betreten des Büros einfach „ablegen“. Doch das funktioniert nicht: Unsere Persönlichkeit ist kein Mantel, den man auszieht, sondern eher wie eine zweite Haut. Dabei gibt es keine vorurteilsfreie Zone – wir alle haben Vorurteile.
Warum wird das oft übersehen? Vielleicht, weil wir Führungskräften unterstellen, dass sie rational und professionell entscheiden. Doch in Wahrheit sind sie genauso beeinflusst von Stereotypen und Erfahrungen wie jeder andere Mensch. Und wenn in unserer Gesellschaft Altersdiskriminierung verbreitet ist, dann ist es naiv zu glauben, dass Führungskräfte davon völlig unberührt bleiben.
Auch ältere Arbeitnehmer stehen sich selbst im Weg
Welchen Anteil haben ältere Menschen selbst daran, dass sie in der Arbeitswelt unterschätzt oder diskriminiert werden? Und vor allem: Verlangen sie von Führungskräften eine Offenheit und Unvoreingenommenheit, die diese aufgrund ihrer eigenen Prägungen gar nicht haben können?
- Selbsterfüllende Prophezeiung: Wer sich selbst für ’nicht mehr lernfähig‘ oder ’nicht mehr flexibel‘ hält, verhält sich oft unbewusst genau so – und bestätigt damit bestehende Vorurteile. Das ist eine Form der Autodiskriminierung.
- Komfortzone vs. Eigenverantwortung: Manche nehmen die bequeme Rolle ein: „Ich bin zu alt für den Kram, macht ihr das mal.“ Das kann verständlich sein, ist aber auch eine Einladung zur Diskriminierung.
- Die Erwartungshaltung an Führungskräfte: Ältere Mitarbeitende wünschen sich Respekt, Wertschätzung und Entwicklungschancen. Aber ist das realistisch bei Führungskräften, die selbst nie gelernt haben, ihre Vorurteile zu hinterfragen?
Schubladen im Kopf: Warum beide Seiten gefragt sind
Das führt zu einer spannenden Schlussfolgerung: Wandel muss von beiden Seiten kommen. Ältere sollten sich aktiv als Lernende positionieren – nicht, um sich zu rechtfertigen, sondern um dem Narrativ „nicht mehr anpassungsfähig“ entgegenzuwirken. Gleichzeitig müssen Führungskräfte lernen, ihre unbewussten Vorurteile zu hinterfragen. Beides hilft im Team. Denn Studien belegen, dass altersgemischte Teams erfolgreicher sind.
Der erste Schritt: Der Blick in den Spiegel
Hier eine kleine Eigenübung: Lassen Sie abends den Tag einmal Revue passieren. Können Sie sich an Situationen erinnern, in denen Sie mit negativen Aussagen oder Handlungen zum Thema Alter konfrontiert wurden oder die Sie im Hinblick auf ältere Menschen selbst gesagt oder gedacht haben?
Schreiben Sie diese auf. Denken Sie kurz darüber nach und schreiben Sie die Situation um.
Wie hätte eine Reaktion ihrerseits ausgesehen, wenn Sie nicht an das Alter, sondern an das Potenzial des Mitarbeiters oder der Mitarbeiterin gedacht hätten? Oder an Ihre eigenen Fähigkeiten geglaubt hätten – z. B.: „Das mit dem Smartphone werde ich schon verstehen, ich schaue mir einfach ein YouTube-Video dazu an.“
Klischees lassen sich auch positiv nutzen
In Teams, in denen ein junges Mitglied automatisch für Social Media zuständig ist, kann ein erfahrener Kollege für Beratung und Strategie wertvoll sein.